Geht das auch nett?

Über Kommunikation, Social Skills und Training

Musterhafte Einzelfälle bewegen die Welt

December 11, 2015

Sie halten sich nicht an starre Regeln,  brechen Konventionen und pfeifen auf gesellschaftliche Normen. Ich gestehe hiermit feierlich: ich hege eine tiefe Leidenschaft für mutige, querdenkende Frauen der vergangen Jahrhunderte. Ihre Geschichten von Kampfgeist und Eigensinn füllen mehrere Meter meines antiken Content Management Systems formerly known as Bücherregal.

Bei dieser Gelegenheit kann ich mich dann auch gleich als feister Bücherwurm outen – Digital Immigrant hin oder her. Ich werde es immer lieben, ein Buch, ob staubig oder druckfrisch, in Händen zu halten, erwartungsvoll über die Seiten zu streichen und die noch unbekannte Welt beim Durchblättern förmlich zu riechen. Kommt eins zum anderen, ist anrufen zwecklos, dann bin ich auf unbestimmte Zeit abgetaucht.

Wem das zu sehr nach jahrhundertealtem Muff und ollen Kamellen klingt, der hat sie noch nicht durchlebt, die Nächte, in denen Zeitreisen möglich scheinen und Geschichten über Kontinente hinweg erlebbar werden. Eigens durchkämpfte Abendteuer, von denen der Buchabdruck auf der Wange am nächsten Morgen nachhaltig Zeugnis ablegt.

So erging es mir beispielsweise beim Lesen der Lebensgeschichte von Boudicca, Warrior Queen of the Iceni. Ihre Statue steht in London schräg gegenüber vom Big Ben auf einem Brückenpfeiler der Westminster Bridge –weibliche Entschlossenheit materialisiert auf einem Streitwagen. Mit dem Mut der Verzweiflung wurde Boudicca zur Freiheitskämpferin der Kelten. Ihre Armee aus Männern, Frauen und Kindern, allesamt Bauern und Tagelöhner, erschütterte ca. 60 n. Chr. das Imperium Romanum nachhaltig. Binnen kürzester Zeit fegte ihre Horde über die unterjochten Städte Camulodunum (Colchester), Londinium (London) und Verulamium (St Albans) hinweg und stampfte die Überheblichkeit Roms mit bloßen Händen, Fackeln und Mistforken in den britischen Boden. Der Legende nach ruht das heutige London aus diesem Grund auf einer meterdicken Ascheschicht, die sich demjenigen offenbart, der am Fuße der Themse nur tief genug gräbt.

Anderes Jahrtausend, anderer Kontinent: Anfang des 20. Jahrhunderts zog es die junge Emily Carr in die kanadische Wildnis – allein. Geboren im viktorianischen Zeitalter, schien ihr Leben als Tochter aus bürgerlichem Hause unausweichlich vorgezeichnet. Adrett, sauber und gehorsam waren die kleidsamen Adjektive für ein gutes Mädchen und der Garant für eine passable Partie im heiratsfähigen Alter. Doch zum Entsetzen ihrer Eltern war Emily ein unbändiger Wildfang. Sie wälzte sich mit Vorliebe im Dreck , war grob zu Leuten, die sie nicht ausstehen konnte, ritt im Herrensitz durch die Wälder und wartete sehnsüchtig darauf, volljährig zu werden, um endlich Zigaretten rauchen zu können. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern studierte Emily Kunst in Kalifornien, Frankreich und England. Die Malerei wurde ihr Leben. 1905 machte sie sich allein auf den Weg in die Wildnis British Columbias und Alaskas. Sie lebte mit den Ureinwohnern und dokumentierte ihr Stammesleben in beeindruckenden Bildern. Legendär sind ihre Darstellungen der Totempfähle, die sie mit scharfem Blick für die kultur- und regionsbedingten Unterschiede skizzierte und auf diese Weise für die Nachwelt bewahrte. Emily Carrs Kunst ist kraftvoll, farbgewaltig und dynamisch, wie das Land, das sie so sehr liebte. Die Indianer gaben ihr den Namen „Klee Wyck“ - die, die lacht.

Zur gleichen Zeit in Deutschland: 1905 gründete Helene Stöcker in Berlin den „Bund für Mutterschutz und Sexualreform“ und entfesselte damit einen Sturm der Entrüstung in der dogmatischen und verklemmten wilhelminischen Öffentlichkeit. Die allgemein herrschende Doppelmoral gestattete es dem Manne augenzwinkernd, außerhalb der Ehe erotischen Abenteuern nachzugehen und zwanglosen Herrenabenden im Bordell beizuwohnen. Währenddessen hatte die sittsame Ehefrau den heimischen Herd zu hüten und sich für Sexualität nur insofern zu interessieren, als dass es die zu ersehnende Mutterschaft betraf. Gab dagegen ein Zimmermädchen dem Drängen ihres Hausherrn nach und hatte dies sichtbare Folgen, so drohte Mutter und Kind unweigerlich der soziale Abstieg und die gesellschaftliche Ächtung. Der Gelegenheitslüstling dagegen verlor weder Ansehen noch Geld, denn laut Bürgerlichem Gesetzbuch von 1900 war „das uneheliche Kind mit seinem Vater nicht verwandt“ und dieser somit auch nicht unterhaltpflichtig. Helene Stöcker kämpfte wortstark für die Würde der Frauen, die aufgrund einer illegitimen Schwangerschaft in Prostitution und Elend gestoßen wurden. In der Zeitung „Die neue Generation“ bezog sie mutig, eloquent und geistreich Stellung zu Tabuthemen wie die Freigabe von Verhütungsmitteln, Kameradschaftsehe, Abschaffung des Abtreibungsparagrafen §218 sowie freie Liebe in all ihren Ausprägungen und ihre dringende Forderung nach einer Männerbewegung. Vielen gilt sie daher als Philosophin einer neuen Ethik. Leider waren ihre Ansichten der Zeit gnadenlos voraus.

Neuro-Wissenschaftler haben kürzlich herausgefunden, dass Geschichten einen direkten Einfluss auf unser Verhalten haben und die richtige Erzählung unsere Handlungsbereitschaft sogar messbar erhöht. Tatsächlich ist es so, dass ich mich nach dem Lesen derartiger Heldentaten leicht angestachelt fühle, meinen Vorbildern ad hoc nachzueifern. Doch ohne mir selbst Wasser in den Verehrungswein gießen zu wollen, die Adaption in die heutige Zeit hat so ihre Tücken.

Zwar bewundere ich den Mut, die Kraft, die Leidenschaft und den Willen dieser Frauen, aber eins zu eins umsetzen lassen sich ihre Geschichten in meinem Leben nur schwer. Es ist nun einmal nicht mehr opportun, Römer zu verhauen und mit erhobener Mistforke Überzeugungsarbeit zu leisten. In die kanadische Wildnis habe ich mich dagegen getraut, allerdings mit Handy, Karte und männlichem Beschützer. Am dichtesten bei mir ist da schon eher Helene. Feminismus liegt mir im Blut. Natürlich werde ich niemals wirklich an ihr Lebenswerk heranreichen, aber immerhin habe ich ja jetzt schon mal einen Blog.

Und da war sie, die Idee. So ein modernes Publikationsorgan wie ein Blog eignet sich doch hervorragend, um neuen Geschichten ungeahnte Wirkung zu verleihen – Bücherwurm hin oder her. Warum also nicht einfach aktuelle Lebensläufe von Menschen veröffentlichen, die anderen ein Vorbild sind, ohne es zu wissen. Eine neue Kategorie für den Blog muss her, mit Berichten von Mut, Lebensfreude, Ausdauer, Kraft, Überwindung und Liebe - inspirierend, berührend und ansteckend.

Wir nennen diese neue Kategorie: Menschen, die bewegen. Und wenn ihr Ideen, Geschichten und Vorbilder für uns habt, wären wir stolz, ihnen das nötige Forum zu bieten. Wir sind gespannt auf digitalisierte Abenteuer ganz nah am Leben.