Geht das auch nett?

Über Kommunikation, Social Skills und Training

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“

October 29, 2015

Rampensau hat er mich genannt. Mich, das Mauerblümchen und Mobbingopfer der Grundschulzeit. Diese Äußerung floss die geschundene Viertklässlerseele runter wie warmes Öl – ach, nach all den Jahren. Mit dem Abstand der mittlerweile (Himmel, wie die Zeit vergeht) gereiften Frau hätte ich allerdings gut daran getan, zumindest ein klein wenig zu rebellieren. Das spürte ich sofort. Die Empörung wollte sich nur nicht zeitgleich mit der Erkenntnis einstellen.

Und das erkläre ich mir so: Im Grunde meines Herzens bin ich etwas menschenscheu. Ich habe gern meine Ruhe. Und ich kann mich gut allein beschäftigen. Nach der Definition von Jacques in seinem Post, Introvertiert – Frequently asked questions, dominiert mich das Introvertierte. Ich bin ein Akku, keine Solaranlage, wie schade. Stempel darauf, rein in die Schublade, so ist das Leben.

Als Kind habe ich den Mund oft nicht aufbekommen, wenn man mich etwas gefragt hat. Und im Gegenzug habe ich mich lieber verlaufen, als jemanden nach dem Weg zu fragen. Ich war den meisten Altersgenossen zu klein, zu dünn, zu verträumt und dann erst diese zwei linken Füße und die viel zu lange Zündschnur - uncool. Mich wollte beim Völkerball keiner in der Mannschaft haben. Mir wurde spitzbübisch aufgelauert. Und ich wurde hin und wieder verhauen.

Aber irgendwann hatte ich es satt. Also Haare ab, freitags Jiu-Jitsu und mit dem Kopf durch die Adoleszenz, Motto: „ Ich einen blauen Fleck, Du zwei zurück.” Das brachte mir Respekt ein, wenn auch wenig Siege. Die allseits kampfbereite, putzige Möchtegernamazone habe ich so lange gegeben, bis die Vernunft mir flüsterte, dass ich diese Art des Konfliktmanagements wohl nicht bis zur Rente durchstehen werde.

Auf der Suche nach einem neuen Schutzschild entdeckte ich die Sprache. Wie im Kampfsport lassen sich in der Kommunikation Techniken für so ziemlich jede Situation erlernen, fleißiges Üben macht den Meister und das Alter spielt keine Rolle. Wunderbar.

Ich erprobte also den Aufstand mit Worten. Erst nur, um mich zu schützen. Dann immer mehr, um meinen Standpunkt durchzusetzen. Nach und nach erlernte ich die hohe Kunst des Kritisierens, ohne selbst eine Angriffsfläche zu bieten. Meine Schwester, die in London lebt, hat mir erzählt, dass man diese “Technik” dort Shit Sandwich nennt. Verbal einen an die Backen, geschmackvoll ausgeteilt.

Geübte Verbalakrobaten schaffen es auf diese Weise, ihre Diskussionsgegner binnen Sekunden mundtot zu machen - nicht aber, sie nachhaltig zu überzeugen. Anfängerfehler! Denn Worte können weitaus mehr. Es lässt sich tatsächlich mit ihnen streiten, auch ohne den anderen zu verletzen. Worte sind in der Lage, für echtes Verständnis zu sorgen. Und Worte haben die Kraft, den Horizont auf beiden Seiten zu erweitern. Seit ich das erkannt habe, generiere ich aus Begegnungen mit Anderen ungeahnte Energie. Fortan wurde Kommunikation Teil meines Antriebs. Und genau daran möchte ich über die Rente hinaus arbeiten.

Doch manchmal entgleist es mir leicht. Meistens dann, wenn ich etwas unsicher bin. Dann kompensiere ich über und lasse verbal (mit viel Witz und großen Worten) schon mal meine Muskeln spielen. Damit stelle ich im Vorfeld klar, wen man hier trotz unterschwelliger Selbstzweifel besser nicht angreift. Die haut zurück!

Natürlich war ich also erst einmal stolz. Rampensau heißt, dass ich es geschafft habe. Ich bin unterhaltsam, niemand hat meine Unsicherheit bemerkt (oder sich getraut, diese anzusprechen) und es schwingt sogar ein bisschen Bewunderung mit. Der Stempel Rampensau hat aber auch den Beigeschmack von “sich in den Vordergrund drängen” und “anderen die Show stehlen”.

Es kommt negativ hinzu, dass Rampensausein im Alltag Kraft kostet. Kraft, die ich aufgrund der vorhandenen Unsicherheit ja gar nicht habe. Das ist auch nix bis zur Rente.

Wer wie ich zwischen den Begriffen introvertiert und extrovertiert hin und her pendelt, sollte lernen, situativ das richtige Maß zu finden - das bündelt Energien. Für eine Seite entscheiden muss ich mich aber nicht. Ich glaube eher, dass derartige Schubladen nur dazu dienen, es sich darin gemütlich zu machen. Bei der Gelegenheit verkommen sie nicht selten zur bequemen Ausrede.

Und wer schon mal erlebt hat, wie Jacques unter Einsatz seines französischen Charmes und seines britischen Humors als Schulungsleiter aufblüht, der käme nie auf introvertiert. Voll die Solaranlage, mein Lieber.