Geht das auch nett?

Über Kommunikation, Social Skills und Training

„Wer das liest ist doof.“ Mit gezielten Beleidigungen zum sicheren Knockout

May 11, 2017

„Das ist doch totaler Bullshit! Sag mal, hörst du dir eigentlich selber zu? Weißt du, wie bescheuert das ist, was du da sagst? Erst denken, dann reden! Sowas extrem Blödes hätte ich von dir nicht erwartet! “ Meine Empörung ist aufrecht und eruptiv, ohne Luft zu holen aber treffsicher, schleudere ich meine tiefe Verachtung in Richtung Adressat: „Es ist mir unbegreiflich, wie jemand, den ich für einigermaßen intelligent gehalten habe, derart tief in die Kiste mit Scheißhausparolen greifen kann? Wie wenig Hirn muss man haben, um auf so ein unterirdisches Niveau zu sinken?“ Die Frage ist rhetorisch angelegt. Dessen ungeachtet macht mein Gegenüber Anstalten, sich zu erklären. Herausforderung angenommen. Mein Puls nimmt das Tempo der Kontroverse auf. Noch bevor mir jemand in meinen gerechten Zorn grätschen kann, zische ich: „Das ist dumm, richtig dumm und total peinlich.“

Ich versichere und verbürge mich: ich echauffiere mich zu Recht. Es geht globalgalaktisch um das Thema Flüchtlingspolitik. Ich, im Geiste auf Du und Du mit Cicero, Herder und Humboldt, schwinge heroisch mein flammendes, humanistisches Meinungsschwert für die gerechte Sache. Und so stehe ich hier, ein Gutmensch, edel und empathisch, Zornesstirn an Zornesstirn mit einer verstrahlten, rechtspopulistischen Dumpfbacke. So ein Idiot.

Aber weil ich total im Recht bin, reagiert mein Gesprächspartner auf den verbalen Gülleschwall natürlich wie von Ratio überwältigt und durchdrungen: „Stimmt, das leuchtet mir ein, liebe Merit. Ich kann mich nur entschuldigen. Danke für den Hinweis. Bitte, erkläre mir deine universale Wahrheit. Aber in einfachen Worten, du weißt ja, ich hab‘s leider nicht so mit dem Denken.“ - Läuft bei mir.

Ok, das war jetzt gelogen.

In Wirklichkeit starrt mich mein ehemals netter Bekannter fassungslos an und fragt angewidert: „Sag mal, glaubst du eigentlich, dass du moralisch über allem stehst?“ Pah, das ist empörend. „Natürlich nicht!“, lüge ich herablassend. Schwachsinnige Frage. Was bitteschön hat denn das mit mir zu tun? Die Fakten sprechen für mich bzw. für sich. Dagegen legt die falsche Interpretation des Andersdenkenden den fortgeschrittenen Grad seiner Degeneration doch ganz von selbst frei, oder?

Aber mal ehrlich, natürlich stände es besser um diese Welt, wenn alle so denken würden wie ich. Trotzdem hält dieser Ignorant mich für realitätsfremd, borniert, arrogant, besserwisserisch, bevormundend und was weiß ich nicht … sehr nebulös das alles.

Der Schlagabtausch ist erst einmal ausgesetzt. Beide Seiten ziehen sich zu tiefst beleidigt zurück. Es wurde nach Kräften ausgeteilt. Aber Sieger sehen anders aus. Wut und Geifer machen echt hässlich. Rückblickend frage ich mich, wie ich da hinein geraten bin, ich Kommunikationsgenie.

Anfangs wollte ich mein Gegenüber wirklich besser verstehen aber dann wurde ich irgendwie ungeduldig und mich überkam der unbändige Drang zu überzeugen und dann hab ich nicht mehr zugehört und bin stattdessen lauter geworden und dann echt böse und spätestens ab dann ist es mir so richtig entglitten. Und zwar genau auf die Art, die ich bei anderen immer scharf kritisiere.

Ich kann mich nämlich andererseits ganz unglaublich über Posts in den sozialen Netzwerken empören, deren Inhalte nur auf Diffamierung oder billige Provokation abzielen. Selbst wenn mir die ursprüngliche Gesinnung des politischen oder sonst wie geprägten Lagers theoretisch nah steht. Wer pöbelt und brüskiert, will doch in erster Linie erniedrigen und verletzen. Da gerät die ehemals gute Intention des Verfassers schnell in den Hintergrund. Und dann passiert es, die herablassende Beleidigung begeht Hochverrat an den zu verteidigenden Werten.

Statt fundierte Fakten und nachvollziehbare Beispiele zu liefern oder einfach nur ein gutes Vorbild für respektvollen Umgang zu sein, wird im Namen der ‚gerechten Sache‘ gehässig Gift und Galle gespuckt. So dann geht der Hass den Weg allen Fleisches. Naturgesetzartig klatscht der verbale Vergeltungsschlag mit Schmackes auf die prompt hochgezogene und knallharte Gegenwehr. ‚Hier stehen wir nun, wir können nicht anders.‘ Echt jetzt?

Über die allzu menschliche Unfähigkeit, kluge Inhalte ebenso klug zu transportieren, könnte ich mich schon wieder so heftig ereifern, dass ich Puls kriege. Memo an mich: an die Nase fassen, im Idealfall die eigene, tief durchatmen und passendes Beispiel suchen. Gefunden.

Da schreibt beispielsweise ein linker Aktivist im Zuge einer friedlichen Kunstdemo gegen Rechte Gewalt auf ein buntes Fähnchen als Symbol für Toleranz und Diversität: „Wir hauen den Fratzen auf die Glatzen bis sie platzen.“ Nun tut sich das in der Tat sehr schön reimen. Da gibt es nichts. Aber es tut mal so gar nichts für die gegenseitige Verständigung oder eine moderate Aufklärung.

Wann haben wir eigentlich verlernt zu diskutieren? Oder, schlimmer noch, wurde uns das in der Schule überhaupt beigebracht? Ich erinnere mich an das Auswendiglernen des Gedichts ‚Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland‘, die Grundschüler unter uns wissen es noch, das ist der freundliche Mann mit dem Birnbaum und dem geizigen Sohn. Entlang meiner schulischen Laufbahn musste ich ganze 3x ran an den Text, folglich hat er sich eingebrannt. Ich werde die Verse, wenn gewünscht, noch auf dem Sterbebett rezitieren können. Wie aber verhält es sich mit der Meinungsbildung in unseren Lehranstalten? Habe ich gelernt, Daten und Fakten zu sammeln, um sie gegeneinander abzuwägen? Wurde mir beigebracht interessiert und ernsthaft zuzuhören? Hat mir jemand geholfen, die richtigen Fragen zu stellen, um wirklich zu verstehen? Konnte ich mich in kontroversen Diskussionen erproben? Nö.

Wir Menschen sind soziale Wesen. Herdentiere, wenn man so will. Wir brauchen Gemeinschaft, um zu überleben. Statt unser angeborenes Bedürfnis nach gegenseitigem Austausch zu fördern und zu befähigen, verkommt unsere Kommunikation zunehmend zu einer Kultur der Monologe, Attacken und Diffamierungen. (Quelle:  jede x-beliebige Talkshow)

„Wiste ‘ne Beer?“ zu säuseln, wenn einem die Argumente ausgehen, kann aber nun wirklich nicht die Alternative sein.

Klarer Fall von Nachhilfebedarf. Doch auf eine mögliche Schulreform zu warten, wäre grob fahrlässig. Selbst ist der Mensch. Es schlägt die Stunde der Autodidakten. Was uns zum Selbststudium befähigt, ist der Einsatz von Zeit und Energie für Recherche und Thesenbildung sowie Empathie und Selbstbeherrschung für sachliches Diskustieren ohne primitive Meinungsverstärker, wie beispielsweise das Aufzeigen von Mittelfingern oder Tritte vor ‘s Schienbein. Und dann: üben, üben, üben, wann immer sich die Möglichkeit dazu ergibt. Ich weiß, das ist vielverlangt im Strudel der täglichen Anforderungen. Aber es ist, meiner Meinung nach, die einzige Chance sich gegen Fake News, alternative Fakten, einfältige Propaganda und hohle Parolen zu wappnen und unsere Schwierigkeiten ernsthaft und gemeinsam anzugehen. Menschen sind komplex, das Leben ist komplex, unsere Welt ist komplex und unsere Probleme sind es auch. Warum also glauben wir, es gäbe einfache, schnelle Lösungen? Der Aufwand sollte es uns wert sein. Wir sollten es uns wert sein.

Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel. So ist es beispielsweise im übertragenen Sinne nicht wirklich zielführend, mit Tauben Schach zu spielen. Die kostbaren Ressourcen, Zeit und Energie, wären an diese Partie total verschwendet. Die possierlichen Tierchen hinterlassen ihren Kot, wo sie gehen und stehen, werfen mit ihrem Hinterteil alle Spielfiguren um und stolzieren dennoch über das Brett, als hätten sie gewonnen. (Ähnlichkeiten mit lebenden Personen in präsidialen Ämtern sind an dieser Stelle rein zufällig.) Mir fehlt einfach die psychologische Ausbildung, um diesen Menschen zu helfen.

Außerdem versuche ich, asozialen Trollen aus dem Weg zu gehen. Das sind Möchtegern-Störenfriede, die ihre verbalen Blähungen nur deshalb geräuschvoll in einen Diskurs entweichen lassen, um sich an den empörten Reaktionen zu erfreuen. Einfach links liegen lassen, das ärgert sie am meisten.

Was ich meine, ist ehrliches, tiefes Interesse an ehrlichen, tiefsinnigen Menschen und den Themen, die sie berühren. Nachdem ich meine Ernsthaftigkeit und Wertschätzung im eingangs beschriebenen Vorfall glaubhaft vermitteln konnte, erhalte ich zum Glück eine zweite Chance.

Bei einer guten Tasse Kaffee und in entspannter Atmosphäre diskutieren wir behutsam und manierlich. Der Disput ist dadurch nicht minder aufregend aber diesmal auch durchaus anregend. Und dann erwischt er mich eiskalt, der No-Go-Satz: „aber man wird doch wohl noch sagen dürfen“.

Leck mich fett! Meine Intelligenz ist pikiert und droht mit Verweigerung.

Zwar weiß ich aus Erfahrung, dass Veränderung einen langen Atem braucht und dass logisches Denken nur mit Hilfe von adäquater Sauerstoffzufuhr und ruhigem Puls eine Überlebenschance hat - aber bei gewissen Reizworten bleibt mir einfach die Luft weg. Jetzt bloß nicht ohnmächtig oder ausfallend werden.

Das hier ist echt nix für Weicheier. Diskussionen dieser Art verlangen nach mutigen, aufgeschlossenen und disziplinierten Haudegen. Und weil Tollkühn mein zweiter Vorname ist:  Visier hochklappen, roten Faden aufnehmen und dranbleiben. Aber kann mal bitte einer das Fenster aufmachen? Danke.